Früher, als es noch kein Radio, kein Telefon, keinen Fernseher und auch noch keine Computer oder Tablets gab war das Erzählen eine beliebte Form der geselligen Unterhaltung. An langen Winterabenden, während man Handarbeiten verrichtete oder auch bei gegenseitigen Besuchen und auf Festen wurde gerne und viel erzählt. So wurden die Geschichten über Generationen mündlich weiter gegeben. In «Sagen und Legenden der Eifel», gesammelt und bearbeitet von Hans-Peter Pracht, haben wir eine Erzählung über einen Bettinger Pastor entdeckt:
In Bettingen lebte ein alter Pastor, der sich mehr um seinen Bienenvölker als um das Wohl der ihm anvertrauten Seelen kümmerte, und das schon seit vielen Jahren, bis die Leute im Dorf hinter vorgehaltener Hand über das merkwürdige Verhalten ihres Seelenhirten zu tuscheln begannen.
Eines Tages machte sich der Pastor gleich nach der Messe, die er stets sehr rasch zelebrierte, an seinen Bienenkörbchen zu schaffen. Er wollte sie später mit einem Knecht auf die Wiesen fahren. Da hörte er den alten gottesfürchtigen Matthes hinter einer Hecke zu einem Begleiter sagen: «ich glaube, unserem pastor sind die Bienen wichtiger als die Menschen.»
Das ärgerte ihn, denn nun hatte jemand laut ausgesprochen, was bisher im Dorf nur angedeutet wurde. So nahm er sich vor, den Matthes wegen dieser Äußerung zur Rede zu stellen. Doch dafür blieb später noch Zeit; zunächst waren die Bienen wichtiger. Als der Pastor dann auf dem Wagen saß, die aufgestapelten Bienen hinter sich, hatte er die Bemerkung des Matthes und seinen Zorn bald vergessen.
So fuhr er mit dem Knecht, auf dem Kutschbock sitzend, zu der Stelle, an der sie die Körbe aufstellen wollten. Es war neblich an diesem Spätsommermorgen, und beide dösten wortlos vor sich hin. Da fielen dem Pastor die Worte des Matthes wieder ei, und er meinte, dass daran doch was Wahres sein müsse.Plötzlich schreckte der Knecht den Pastor aus seinem Grübeln auf und wies mit der Peitsche zur Seite, wo gerade eine Herde verwilderter Schafe gespenstisch im Nebel vorüberraste. Der Knecht, dem das alles sehr seltsam vorkam, fragte in seiner einfältigen Art, was es denn wohl mit diesen Schafen auf sich habe. Da blickte er in das schreckensbleiche Gesicht des Pastors. Der griff ihm heftig in die Zügel und rief: «Kehr um, schnell kehr um! Das ist ein Zeichen des Himmels! Ich muss zurück zu meinen Schafen!»
Der Knecht wendete rasch und sie fuhren, so schnell sie nur konnten, wieder ins Dorf.
Von diesem Tag an standen die «Schafe» des Pastors, seine Pfarrkinder, bei seiner Arbeit an erster Stelle, und dann erst kamen die Bienen. Den Namen Bienenpastor behielt er jedoch bis zu seinem Tod.
(Quelle: Sagen und Legenden der Eifel von Hans-Peter Pracht — Verlag J.P. Bachem in Köln)